Steine und Steinernes im Alten Orient
Das Vorhaben verfolgte eine dreifache Zielsetzung:
- In inhaltlicher Hinsicht die Erarbeitung eines systematischen Überblicks über die materialen Manifestationen des Wissens über Steine (Geofakte) und Artefakte aus/mit Stein in altorientalischen Gesellschaften durch die Analyse von Keilschrifttexten, Artefakten aus Stein und unbearbeiteten Steinen aus dokumentiertem archäologischem Kontext.
- In epistemologischer Hinsicht eine Analyse und systematische Darstellung des Wissens über Steine und Steinernes, seine expliziten und impliziten Prämissen sowie seiner Dynamiken als eines exemplarischen Teilbereichs von Objektepistemologien in altorientalischen Gesellschaften.
- In methodischer Hinsicht die Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen, mit welchen Verfahren und mit welcher Zuverlässigkeit epistemische Praktiken und die daraus resultierenden, dynamischen Wissensbestände wissenschaftlich erschlossen werden können, wenn die an diesen epistemischen Praktiken teilnehmenden menschlichen Träger der Wissensbestände nicht mehr leben und lediglich Objekte aus vergangenen Gesellschaften als materiale ‚Teilnehmer‘ an sozialen Praktiken als Evidenz zur Verfügung stehen. Das Teilprojekt diente in diesem Sinne selbst als wissenschaftliche Fallstudie, die die Grenzen altertumswissenschaftlicher Wissensgeschichte(n) auslotete.
Untersucht wurden einerseits keilschriftlich überlieferte Aussagen über Steine und Objekte aus Stein als materiale Manifestationen diskursiver Wissenspraktiken. Andererseits wurden ausgewählte Artefakte aus Stein sowie unbearbeitete Steine in den Sammlungen des Vorderasiatischen Museums systematisch danach befragt, welche ästhetischen, deiktischen und performativen sowie materialspezifischen, bearbeitungstechnischen, und logistisch-infrastrukturellen Praktiken für ihre Beschaffung, Produktion und/oder topologische Kontextualisierung vollzogen wurden und welche Wissensbestände durch diese Praktiken jeweils ausgedrückt worden sein könnten.
Das Projekt hat mit Blick auf die altorientalischen Gesellschaften einen Beitrag zum Verständnis sowohl des Wissens über Stein und Steinernes sowie seiner Dynamiken im Besonderen als auch von Objektkonzeptualisierungen und ihren epistemologischen Grundlagen im Allgemeinen geleistet. Dazu wurden ausgewählte Steinartefakte und unbearbeitete Steine aus der Sammlung des Vorderasiatischen Museums auch mit naturwissenschaftlichen Methoden genauestens untersucht. Es wurde eine optimierte Analysestrategie entwickelt, die es ermöglichte, die Steinartefakte auf den unterschiedlichen Ebenen, von deren makroskopischen Oberflächenaspekten aber auch ihren inneren Strukturen bis hin zu den mikroskopischen Merkmalen, zu charakterisieren. Sensitive Analysemethoden, die auch Untersuchungen an Großgeräten wie Teilchenbeschleunigern oder Synchrotronverfahren einschließen, wurden verwendet, um eine chemische Signatur der Steine und Steinartefakte zu definieren, die charakteristisch für die Herkunft bzw. die Bearbeitung und Nutzung der Steine ist. Mikroskopische, petrographische, elementaranalytische und phasenanalytische Verfahren wurden bei den Untersuchungen einbezogen. Zu nennen wären insbesondere die digitale Mikroskopie, die Elektronenmikroskopie, die Röntgenfluoreszenzanalyse, die Röntgendiffraktion, die Ramananalyse sowie auch oberflächensensitive Methoden.
Diese materielle Signatur wurde in die kulturwissenschaftliche Interpretation der Steinartefakte, ihrer Funktion, Nutzung integriert, so dass neue Kriterien der archäologischen Forschung zugänglich gemacht werden konnen und half, das Wissen über die Steine und ihre Signifikanz in altorientalischen Gesellschaften zu erweitern.