Aeneas trägt seinen Vater aus Rom – aber die wirkmächtige Dominanz dieses Bildes lässt leicht übersehen: Er hat auch seinen Sohn dabei, der im Lauf des Epos erwachsen wird. Bei genauerer Lektüre der Aeneis wird überhaupt deutlich, dass die Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen und die Entwicklungen dieser Beziehungen ein wesentliches Strukturelement des Epos darstellen: nicht nur Aeneas und Ascanius, sondern auch Euander und Pallas, Mezentius und Lausus, Daunus und Turnus. Nicht minder oft wird übersehen, dass Vergil in der Aeneis auch von starken Frauen erzählt, nicht nur von der Königin Dido, sondern auch von Camilla, Iuturna und Amata (aber auch von Frauen als Objekt und Spielball wie bei Lavinia). Die Aeneis ist also – jenseits aller vordergründigen Aktualisierung - per se auch ein Epos, das vom Verhältnis der Generationen sowie von Männern und Frauen erzählt. Dieses Potential für die Lektüre zu wecken, ist eine lohnende Aufgabe, um neue Zugänge zur seit 2000 Jahren in der Schule gelesenen Aeneis zu eröffnen.

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